- Written by: Rudolf Uhrig
Göttinnen und Götter des Musik-Olymps
Immer „gut drauf.“ Mr. Paul David Hewson „begrüßt“ seine Fans in der Commerzbank-Arena in Frankfurt.
U2-Konzert, August 2010
Die Magie einer musikalischen Sekunde festgehalten für die Ewigkeit
Der Rock-’n‘ -Roll-Zirkus fasziniert. Um die Stars auf Tournee ranken sich Geschichten vom Leben auf der Straße, Mythen von Freiheit und Legenden von Abenteuern. „Sex, Drugs and Rock ’n’ Roll“ lautete einst das gängige Klischee.
„It’s only rock ’n’ roll, but I like it“, singt Mick Jagger im gleichnamigen Song von 1974. Auch mein Motto – fotografisch gesehen. Seit einem Vierteljahrhundert versuche ich jene Magie einer musikalischen Sekunde, eben von jenen Göttinnen und Göttern des Musik-Olymps, einzufangen und in swingende Bilder zu verwandeln.
Ob Tina Turner, Jon Bon Jovi, Michael Jackson, Prince, Bruce Springsteen, Eric Clapton, Cher, Madonna, Ozzy Osborne, Ray Charles oder Bob Dylan, die Götter und natürlich erst recht die Göttinnen des Musik-Olymps sind unberührbar, zumindest für Normalsterbliche, die nur bei ihren gigantischen Konzerten einmal einen Blick auf die Mega-Stars werfen können.
Der Traum, die Pop-Ikonen gar selbst fotografieren zu dürfen, bleibt meist unerfüllt, denn die Security-Mitarbeiter, die Sicherheitsbediensteten der Konzertveranstalter und nicht selten die Bodyguards des Managements wachen mit Argusaugen und Härte darüber, dass keine Kameras und schon gar keine Teleobjektive in die Musikarenen gelangen. Denn mit dem Erwerb der Eintrittskarte werden auch die Geschäftsbedingungen, die auf der Rückseite eines jeden Billetts abgedruckt sind, anerkannt. Und demnach sind Ton- und Videoaufzeichnungen und sogar das Fotografieren strengstens verboten. Widerrechtliches Handeln kann sogar strafrechtlich verfolgt werden.
[„The first three songs only – without flash”]
So manche Speicherkarte musste daher schon vor dem wachsamen Auge des Sicherheitspersonals gelöscht werden. Allerdings: Gegen Smartphone-Aufnahmen sind selbst die Größten der Großen machtlos; warum auch immer.
Nur wenigen Fotografen wird eine Fotografiererlaubnis gewährt. Vielleicht fünf bis zehn von ihnen erhalten den begehrten „Fotopass“, der es ihnen gestattet, meist ganz aus der Nähe, vom sogenannten „Fotograben“, der Absperrung zwischen Bühne und Publikum aus, ihre Kameras ganz offiziell und legal auf die Stars zu richten. Aber nicht uneingeschränkt, denn es gibt Anweisungen und Vorgaben, gar „strenge Gesetze.“ So heißt es in der Regel „The first three songs only“! Was bedeutet, dass der Fotograf den Künstler während der ersten drei Lieder fotografieren darf. Bestenfalls, denn manchmal sind es eben auch nur zwei oder gar nur eines. Damit nicht genug. Bryan Adams beispielsweise möchte, dass die Fotografen rechts vor der Bühne Stellung beziehen; bei Mark Knopfler ist es die linke Seite, und bei Joe Cocker dürfte der Fotograf nicht bühnenmittig stehen, rechts oder links, das war dem Träger des "Order of the British Empire" dann egal. Rod Stewart und Madonna beispielsweise lassen sich nur noch aus rund 40 Metern Entfernung, vom Mischpult, also Hallenmitte, ablichten. Und mit jedem Jahr werden die Distanzen weiter und länger. Michael Bublé und Lionel Richie schickten die Fotografengilde hinter den sogenannten „FoH“, den „Front of House“, also noch ein ganzes Stück hinter das Mischpult in ca. 70 Metern Bühnen-Entfernung.
[„Verträge, Klauseln und verschenkte Bilder”]
Tja, und dann wäre da noch die Sache mit den Verträgen. Immer in Englisch abgefasst, beinhalten sie z.B., dass der Künstler die Fotos vor dem Abdruck in der Zeitung sehen und genehmigen, also „approven“ möchte. Das geschossene Pressefoto darf nur im Zusammenhang mit dieser Berichterstattung und nur im akkreditierten Medium erscheinen. Kein Zweitverkauf, und schon gar nicht für Merchandising-Produkte, ohne Autorisierung. Manchmal möchte das Management und/oder der Künstler auch schlichtweg sämtliche Fotos für ihre/seine PR-Zwecke geschenkt haben, Coldplay und Leonard Cohen z.B. ließen sich das in ihren Verträgen zusichern. Ohne die Unterschrift unter diese Klauseln gibt es keinen Zutritt zum Konzert. Ach ja, und das gibt es auch: Keine Fotos von diesem Konzert. So wollten es Bruno Mars, Lady Gaga, die Heavy-Metal-Bands Manowar, Machine Head und auch die Jazzerin Cassandra Wilson. Man möge sich doch der genehmigten Fotos des Tour-eigenen Fotografen bedienen. Die FAZ hat dazu eine klare Haltung: "... etweder wir machen die Fotos oder niemand..., dann kommt eben nichts in unserer Zeitung...!" Das nennt man Rückgrat! Und dann gibt es noch die ganz großen Ausnahmen, denn bei Bob-Dylan-Konzerten darf überhaupt nicht fotografiert werden, und das bereits seit mehreren Dekaden. Und auch diese "Liste" wird - fast täglich - länger und länger. Gerade auf ihrer aktuellen Tour haben sich Art Garfunkel und Nigel Kennedy dort eingetragen.
Freilich gilt auch: „No flash“. Blitzen ist eine Todsünde, nicht nur unter rein konzertfotografischen Gesichtspunkten. Wobei, wer sein „Speedlite“ beherrscht, und mit dem Begriff „kreatives Blitzen“ etwas anfangen kann, könnte bei den meisten Konzerten herrliche Fotos, eben noch kreativer und noch bunter, „schießen“; aber es ist nun mal strikt verboten.
Sind alle diese Hindernisse - natürlich auch lange und weite Anfahrten zur Location und das Warten, Warten, Warten, z. B. auf Teenieschwarm Justin Bieber, der seine junge Fangemeinde, deren Eltern und natürlich auch die Fotografen schon mal eine, zwei oder zweieinhalb Stunden bis zu seinem Konzertauftritt einfach stehen lässt genommen, ja dann…
Wenn die Masse tobt, die Vari-Lights ihren glitzernden Tanz beginnen und der Star die Bühne betritt, dann steigt der Adrenalinspiegel des Fotografen merklich an, denn er weiß: Zum richtig tollen Bild zu kommen ist bei den Anforderungen, die ein Rock- und Popkonzert stellt, alles andere als leicht.
[Die Magie einer musikalischen Sekunde]
Das Licht und die damit verbundenen Effekte und Reflexe wechseln innerhalb von Sekundenbruchteilen in absolut extreme Bereiche. Von Blau nach Rot, von gleißender Helle zu tiefstem Dunkel; Nebelschwaden versperren die Sicht. Pyrotechnik ist im Spiel und LED-Screens bringen „tödliches“ Gegenlicht. Schnelle Reaktionen, ständige Standort- und Blickwinkelveränderungen, sofern möglich und erlaubt, laufen dann automatisch ab. Denn nur hierauf hat der Fotograf Einfluss, alles andere ist vorgegeben. Das blinde Beherrschen seines Handwerkszeugs ist Grundvoraussetzung, denn nur ein paar Minuten verbleiben ihm jetzt, um im engen Fotograben, Ellenbogen an Ellenbogen mit den Kollegen des erlauchten Kreises, sein ultimatives Bild zu schießen. Und sein Foto, das die Magie einer musikalischen Sekunde, gar eines Bruchteils davon zeigt, soll pures Gefühl wie Ekstase gleichermaßen vermitteln. Aber auch die Persönlichkeit des Musikers wiedergeben. Tausende werden es am übernächsten Tag in ihrer Zeitung sehen. Oder aber auch online, schon am Abend nach dem Konzert. Bildstrecken sind da schon gewünscht. Von allem und jedem. Vom Superstar, den Sidemen, vom Publikum. Alles in 5, 10 oder 15 Minuten.
In vielen Bereichen der Pressefotografie, so auch hier, sind Feuer, Begeisterung und Leidenschaft, aber auch Instinkt und Intuition gefragt; reine "Pflichterfüllung" würde man dem Bild ansehen.
„Rock ’n’ Roll (I Gave You the Best Years of My Life)“, singt Kevin Johnson in seinem Welthit von 1973. Und solange Mick Jagger und Co. noch “live on stage“ zu erleben sind, gilt das auch für mich! Ich werde da sein und wieder einmal versuchen, die Magie einer musikalischen Sekunde einzufangen.